Landkreis Lörrach: Studie zum Nahverkehr in und ums Kandertal vorgestellt

Der Landkreis Lörrach hatte vor geraumer Zeit das schweizer Verkehrsplanungsunternehmen SMA mit der Erarbeitung eines Konzepts zur Nahverkehrsanbindung des Kandertals und des Markgräflerlandes in Zusammenhang mit dem Ausbau der Kandertalbahn zu einer regionalen S-Bahn-Achse beauftragt.

Die Studie ist nun öffentlich im Internet einsehbar. (Screenshot: R. Bock, (c) SMA/Lkr Lörrach)

Nachdem die Ergebnisse offenbar bereits im Frühjahr 2021 den politischen Gremien intern vorgstellt wurden, forderten diverse Kreistagsfraktionen den Landkreis auf, die Ergebnisse endlich – wie ursprünglich geplant – den Kreisbewohnern zugänglich zu machen.

Am 14. Februar 2022 fand nun eine Online-Veranstaltung statt, bei der das Unternehmen CMA, Nahverkehrsberater Uli Grosse unter Federführung des Landkreises die Ergebnisse vorstellten, was über 80 Personen mitverfolgten. Aufgrund der in die Bürozeiten gelegten Veranstaltungszeit war es wohl dabei nur einem Bruchteil der Bürger möglich, daran teilzunehmen.

Ergebnisse allgemein

Allgemein soll in dem Bereich zwischen Schweizer Grenze, dem Bergrücken von der Lucke via Wittlinger und Scheideck bis zum Lipple bei Marzell und der Grenze zum Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald bzw. nach Frankreich fast jede Gemeinde entsprechend dem Landesstandard mindestens stündlich von frühmorgens bis gegen Mitternacht mit Bussen und/oder Bahnen bedient werden. Diese sollten zudem aufeinander abgestimmt werden.

Kandertal-S-Bahn

Die Kandertalbahn soll eine vollwertige Strecke des Basler S-Bahn-Netzes werden. Es ist anch Abwägen verschiedener Varianten angedacht, den Abschnitt Weil am Rhein – Kandern montags bis samstags halbstündlich, sonn- und feiertags stündlich mit S-Bahn-Zügen zu bedienen. Dabei soll beim Halbstundentakt die S5 stündlich ab Weil am Rhein bis Kandern verlängert werden, eine neue S7 würde die Verbindung Basel SBB – Kandern ebenfalls stündlich herstellen. In der jeweils anderen halben Stunde würde ein Anschluss in Weil am Rhein von/nach Lörrach – Steinen bzw. Basel bestehen. Was bei einem Stundentakt an Sonn- und Feiertagen für ein Verkehrskonzept gelten würde, blieb offen.

Für den S-Bahn-Verkehr muss die Kandertalbahn quasi neu gebaut werden. Die derzeit vorhandenen Gleise sind derart verschlissen, dass nur ein Verkehr bis 20 km/h möglich ist. Diese hielt einige Teilnehmer der Veranstaltung trotzdem nicht davon ab, ihren Traum einer Hybrid-S-Bahn auf derzeitigem Gleiskörper als Alternative zu fordern. Das Ingenieurbüro wies richtigerweise darauf hin, dass dies eine Mini-Flotte im sonst einheitlichen S-Bahn-System bedeuten würde, was Mehrkosten und betriebliche Zwänge auslösen würde und daher nicht infrage käme. Somit bliebe nur der Komplettausbau mit Oberleitung, welcher mit 30 Millionen Euro Kosten veranschlagt wird, inklusive der Herstellung einer neuen Kreuzungsstation in Wittlingen, wo sich die Züge begegnen würden und ein Umsteigeknoten zum Bus entstünde.

Die Fahrzeiten der S-Bahnen würden von Kandern nach Basel bei ca. 30 Minuten, von Kandern nach Lörrach bei etwa 45 min liegen, also würde der Bus nach Lörrach nach wie vor deutlich schneller sein.

Busverkehr

Der Busverkehr würde dem Entwurf nach komplett neu geordnet und sollte schon vor der Eröffnung der S-Bahn so in Betrieb gehen. Zwischen Basel und Kandern würde die heutigen Linie 55 bis zur Inbetriebnahme der S-Bahn neben der Rheintalbahn weiterhin die Hauptachse im Markgräflerland bleiben. Die SMA schlgt vor, die Linie in zwei Linien aufzuteilen – eine schnelle, welche die Relation Basel-Kandern eine gute Viertelstunde schneller als heute schaffen würde und eine langsame, die wie heute ganz Weil durchfährt.

Eine weitere stark bedeutsame Achse wären die Verbindung Lörrach – Haltingen – EuroAirport sowie Lörrach – Rümmingen – Schallbach – Egringen (evtl. mit Fortsetzung nach Efringen-Kirchen). Hinzu kämen zahlreiche „kleinere“ Linien, welche aber ebenso häufig bedient werden sollen, teilweise jedoch als Anrufverkehre auf Bestellung.

Durchaus eine interessante Verbesserung wäre die neue „Linie 9“, welche als Ringlinie ab Ötlingen via Eimeldingen – Märkt – Rebgartenweg – Friedlingen – Weil am Rhein – Haltingen angedacht bzw. in Gegenrichtung angedacht ist und das touristisch durchaus attraktive Künstlerdorf Ötlingen mit halbstündlicher Anbindung in ein neues Nahverkehrs-Universum katapultieren könnte – wenn auch die sinnvolle Weiterführung bis/ab Lörrach weiterhin fehlt.

Im Bereich des Engebachtals (Achse von Efringen-Kirchen via Welmlingen nach Schliengen) und des Feuerbachtals oberhalb von Egringen (nach Holzen, Tannenkirch und Feuerbach) bleibt das anvisierte Angebot jedoch hinter den Erwartungen zurück. Es gäbe weiterhin keine nennenswerte Verbindung zum Landhaus Ettenbühl, zum großen Campingplatz in Bamlach oder einfach nur von Welmlingen nach Schliengen – der südlichste badische Abschnitt der „deutschen Route 66“ (B3) bliebe somit weiterhin nicht durchgehend befahrbar. Nach Tannenkirch oder Holzen soll es außerhalb der Schülerverkehrs nur Anrufangebote geben – das wird der ÖPNV-Nutzung natürlich nicht zuträglich sein, Anrufverkehre hemmen allenorts eine ÖPNV-Nutzung gegenüber regulär verkehrenden Linien, bei denen man „einfach einsteigen“ kann.

Reaktion aus der Politik

Der Landtagsabgeordnete Josha Frey (Grüne) ist sehr erfreut, dass nun Dank eines Beschlusses des Kreistags endlich das Landratsamt die Verkehrsstudie Kandertalbahn öffentlich vorgestellt
hat und die umfassende Studie online einsehbar machen möchte. Damit wurden erste
Einzelheiten der laufenden und vom Land Baden-Württemberg geförderten Machbarkeitsstudie
zur Reaktivierung der Kandertalbahn bekannt. „Die Gutachter machten gestern deutlich, dass der gleichzeitige Betrieb der Museumsbahn und der S-Bahn möglich ist,“ ist Josha Frey erleichtert. Eine weitere Erkenntnis war, dass die Bus- oder Bus-/Bahnverbindung von Kandern nach Lörrach schneller als eine Schienenverbindung über Weil am Rhein ist. Eine S-Bahn Kandern bis nach Basel aber schneller als der Bus wäre.

Deshalb hält Frey eine direkte Durchbindung der S7 von Kandern nach Basel SBB im Endausbau für die effizienteste und leistungsstärkste Lösung. Im Verhältnis zu einem umfangreichen Buskonzept, wie gestern vorgestellt, würde der Betrieb mit der S-Bahn Kandertal (S7) mehr Menschen auf den ÖPNV bringen. Das würde die Region schneller in Richtung klimaschützenden Verkehr bringen, denn nach Zahlen des Umweltbundesamtes liegen die CO2-Emissionen von Linienbussen rund 30 Prozent über denen von Nahverkehrszügen. Deswegen hält der Grünen Abgeordnete den vorgestellten Planungszeitraum für viel zu wenig
ambitioniert. Nach Wunsch des zuständigen Dezernenten im Landratsamt, Ulrich Hoehler, sollte
zuerst das umfassende Buskonzept 2026 realisiert werden und dann vielleicht ein S-Bahnausbau
bis 2035 in Betracht gezogen werden. „Um die Klimaziele in Deutschland und der Region zu
erreichen, können wir den umweltschonenden S-Bahn-Verkehr nicht auf die lange Bank schieben,“ ist sich Josha Frey sicher.

„Verkehrskonzepte für Busse werden üblicherweise vom Fern- und
Regionalverkehr abgeleitet – hier verfährt man gerade anders herum, was es für den Landkreis
auch viel teurer macht, weil man Fördermittel des Landes für den Schienenverkehr nicht
rechtzeitig abruft,“ ergänzt Frey. Wenn die Kandertalbahn unter die ersten 100 Kilometer
reaktivierte Bahnstrecken fällt, dann würde das Land nämlich die Betriebskosten übernehmen.
Josha Frey schlägt nach Vorlage der gestrigen Ergebnisse für eine schnelle Umsetzung daher ein zweistufiges Vorgehen vor: Zunächst verkehrt ab Dezember 2026 (wenn die Busbetriebslizenzen der bestehenden Buslinien ablaufen) die S7 von Kandern bis Haltingen mit den Batterie-Elektrisch betriebenen Flirts von Stadler und ein Buskonzept wird an diese neue S-Bahn angepasst.

Haltingen wird dann zum Verkehrsknoten, wo in alle Richtungen auf der Schiene und Busse umgestiegen werden kann. Aufgeladen werden die Züge am End- und Zielbahnhof, so dass auf eine teure Elektrifizierung der ganzen 13 km verzichtet werden kann. Sobald die Rheintalstrecke es verkehrlich zu lässt, sollte die S7 nach Basel SBB durchgebunden werden, wo die Züge die
Oberleitung zum Aufladen der Batterie nutzen können.

Zudem bekräftigt der Lörracher Abgeordnete seine Position für einen klimaschonenden,
öffentlichen Nahverkehr im Kandertal: „Ich sehe gute Chancen für eine attraktive S-Bahn auf der
Kandertalstrecke. Es sind für eine Reaktivierung im Wesentlichen sowieso keine komplizierten
Bauwerke notwendig. Unter Berücksichtigung der schon in einer Studie in 2011 ermittelten Kosten zuzüglich Steigerungen durch Inflation dürfte die Reaktivierung nicht wesentlich mehr als 30 Mio. Euro kosten“, schätzt Josha Frey. Dies auf der Grundlage der Kosten für sich bereits in der Reaktivierung befindenden Strecken. So zum Beispiel die laufende Reaktivierung der ca. 20 km langen Hermann-Hesse-Bahn, deren Baukosten auf 49 Millionen Euro beziffert werden, die aber Tunnel und Brücken umfasst! Damit sei die Kandertal-S-Bahn mit seiner S7 in erreichbarer Nähe.

Fazit

Ob das Konzept so der große Wurf ist, bleibt unklar, es gibt noch zu viele Fragezeichen. Während bei der S-Bahn fürs Kandertal ein konkreter Fahrplan vorgelegt wurde, gibt es (auf Nachfrage) für den Busverkehr keinerlei Fahrplanentwürfe, sondern nur auf Fahrzeugumläufen basierende Schätzungen. So kann man sich freilich nicht wirklich ein Bild der vorgeschlagenen Busverkehre machen, welche (Einnahmen durch Fahrgelder nicht eingerechnet!!!) in der Variante „nur Bus“ auf 6,3 Millionen Euro, in der Variante „S-Bahn plus Bus“ auf 4,8 Millionen Kosten prognostiziert werden. Zum Vergleich: der Busverkehr im Markgräflerland und Kandertal kostet heute geschätzt 3,6 Millionen Euro vor Fahrgeldeinnahmen, wobei aber das Angebot um ca. 45 Prozent geringer ist. Auch wenn immer von 6,3 Millionen Euro Kosten die Rede ist, dürften es also eigentlich „nur“ 2,7 Millionen bzw. 1,2 Millionen Euro Mehrkosten gegenüber heute sein. Dies wäre unter Umständen durchaus durch die Fahrgasteinnahmen der prognostizierten 1000 Fahrgäste mehr pro Tag kompensierbar.

Fraglich ist, was die Exekutive draus macht und ob es die Mitarbeit der Bürger wirklich gibt, denn das „Verheimlichen“ der Ergebnisse über ein Dreivierteljahr spricht da ja schon Bände…

Die Ergebnisse der Studie sind auf der Website des Landkreises öffentlich einsehbar:

Präsentation der Studie am 14.02.2022

Vorstellung der Studie vom 20.04.2021

(Links zur Website des Landkreises Lörrach)
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